Vorab: Der Begriff “Arbeitssucht” bzw. “Workaholic” wurde 1971 vom Psychologen Wayne Oates geprägt, der die Arbeitssucht als „Zwang oder unkontrollierbares Bedürfnis, ununterbrochen zu arbeiten“ bezeichnete. In der Forschung gibt es jedoch verschiedene Definitionen (Sucht, Pathologie, Verhaltensmuster, Syndrom mit hoher Arbeitsintensität, …).
Arbeitssucht („Workaholismus“) darf nicht mit übermäßig viel Arbeitszeit verwechselt werden. Einer der wichtigsten Unterschiede ist, dass eine hart arbeitende Person auch emotional für Familie und Freunde da ist und eine gesunde Balance zwischen Arbeit und Freizeit pflegt. Ein Workaholic hingegen erkennt nicht mehr die Bedeutung von Familie und Freunden und vernachlässigt Freizeit und Gesundheit. Arbeit ist eine Obsession. Echte Workaholics erreichen ein Ziel und setzen sich sofort das nächste, da ein Stillstehen als Versagen gedeutet wird. Sie denken rund um die Uhr an Arbeit. Sie laufen/sprechen/essen schnell und haben einen überfüllten Terminkalender. Sie versuchen jede Tätigkeit und jedermann zu kontrollieren. Die Arbeit wird als einziges echtes Vergnügen angesehen.
In einer Studie mit mehr als 16.000 Teilnehmern (Andreassen et. al, 2016) wurde festgestellt, dass über 30 % der Workaholics auch an Angstzuständen, ADHS und/oder Zwangsstörungen leiden. Rund 9 % erfüllen ebenfalls die Kriterien für eine klinische Depression.
Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass die extreme Arbeit ein Zeichen für tiefere psychologische oder emotionale Probleme sein kann.
Gründe für Arbeitssucht
Ein Workaholic fühlt sich unwohl, schuldig oder ängstlich, wenn er sich nicht mit seiner Arbeit beschäftigen kann. Auch im Urlaub wird ein Workaholic ständig an Arbeit denken. Im Folgenden einige Gründe, die hinter der Arbeitssucht liegen können:
1. Ängste
Sehr häufig versteckt sich hinter Besessenheiten eine Angst, die den Workaholic destabilisieren kann. Es gibt viele Faktoren, die auch kombiniert werden können, um eine Umgebung zu schaffen, die Arbeitssucht auslöst. Im Folgenden einige Beispiele:
1.1 Angst vor Reputationsverlust. Einige Workaholics haben den Wunsch, als schlauer oder kompetenter angesehen zu werden. Dies ist oft auf mangelndes Selbstvertrauen zurückzuführen. Sie versuchen, einen Reputationsverlust um jeden Preis zu verhindern, was zu noch mehr Einsatz bei der Arbeit führt.
1.2 Sorge um Selbstwert. Sie glauben, dass Selbstwert mit Arbeitseinsatz verbunden ist. Dieses Denken kann von einem Elternteil stammen, der der Person eingeflößt hatte, dass harte Arbeit das einzige ist, was im Leben zählt.
1.3 Sorge um Aufmerksamkeit. Ein Bedürfnis nach ständiger Aufmerksamkeit. Workaholics erhalten Aufmerksamkeit, insbesondere von Vorgesetzten, die den Workaholic offen loben.
1.4 Angst vor Geldverlust. Einige Workaholics kommen aus Familien, in denen Armut ein häufiges Thema war. Selbst wenn sie sich jetzt wohl fühlen und genug Geld verdienen, haben sie das zwanghafte Denken, dass sie ihren Wohlstand sofort verlieren könnten.
1.5 Angst vor Veränderung. Der Workaholic weiß, wie er seine Arbeit fehlerfrei zu machen hat, aber auf einem anderen Gebiet ist er möglicherweise nicht so bewandert. Daher ändert er so wenig wie möglich und probiert nichts Neues aus.
1.6 Angst vor Verlegenheit. Viele Workaholics sind Perfektionisten, die niemals falsch liegen wollen. Sie machen sich Sorgen, dass sie einen Fehler machen und sich selbst in Verlegenheit bringen. Folglich arbeiten sie besonders hart an allem, was sie tun.
1.7 Probleme vermeiden. Workaholics haben ggf. negative Umstände, die auf sie zu Hause warten (Eheprobleme und ähnliches). Anstatt sich mit Emotionen und Problemen auseinanderzusetzen, arbeiten sie einfach die ganze Zeit und vermeiden diese. So brauchen sie sich nicht der Realität zu stellen.
1.8 Angst vor Einsamkeit. Der Workaholic sieht seine Arbeit als Ersatz für menschliche Interaktionen. Er hat keine Beziehung und fürchtet sich, alleine zu Hause zu sein, ohne zu wissen, was er/sie tun soll.
1.9 Vermeiden von anderen Ängsten. Einige Workaholics versuchen, die Konfrontation mit anderen (chronischen) Ängsten zu vermeiden. Sie fokussieren sich vollständig auf ihre Arbeit, um das Denken an andere Ängste auszuschließen.
1.10 Angst vor Sinnlosigkeit des Lebens. Einige Workaholics sehen in ihrer Freizeit oder in ihren Familien keine Sinngebung, jedoch in ihrer Arbeit, sodass diese oberste Priorität erhält. Die Arbeit gibt dem unbedeutenden Leben einen Sinn und wird ggf. als das einzige Sinnvolle angesehen wird, für das es sich zu leben lohnt. Es dient ihnen zudem als Quelle ihrer Identität.
1.11 Angst vor Jobverlust. Die Angst vor der Gefahr, den Job zu verlieren, kann ebenfalls enormen Stress auslösen und eine Arbeitssucht begünstigen.
1.12 Angst vor Versagen. Viele Workaholics haben große Angst vor einem Scheitern. Diese Art von Workaholics sind Perfektionisten und haben in ihrem Leben bisher selten versagt. Ein Scheitern wäre ein unverzeihlicher Verrat an ihrem idealisierten Selbstbild. Die ultimative Angst ist es, gefeuert zu werden. Selbst Herabstufungen oder Zwangstransfers können verheerend sein. Je mehr das Gefühl des authentischen Selbst verschwindet und das sorgfältig ausgearbeitete Persönlichkeitsbild nicht mehr haltbar ist, desto akuter werden die Ängste. Auch haben diese Workaholics kein Vertrauen in die Fähigkeiten anderer, da diese schwierig zu kontrollieren sind und zum Versagen führen könnten.
1.13 Angst vor Langeweile. Einige Workaholics langweilen sich schnell, werden unruhig und impulsiv und verhalten sich sogar rücksichtslos. Sie sind ungeduldig und wollen, dass die Dinge sofort erledigt werden. Beschäftigt zu sein dient als Ablenkung. Ohne einen “Adrenalin-Fix” eskaliert die Angst vor Langeweile. Sie können sich nicht entspannen oder sich die Zeit zum Nachdenken nehmen, also arbeiten sie auch am Wochenende, bleiben durch Technologie mental beschäftigt oder finden eine Ausrede, um im Urlaub zu einem „wichtigen Treffen“ zu gehen.
1.14 Angst vor Faulheit. Es scheint auf den ersten Blick paradox, dass Workaholics Angst vor Faulheit habe, aber psychologisch gesehen sind sie faul. Sie scheinen ihr Leben wenig zu reflektieren und verstehen nicht, wohin es führen kann. Stattdessen haben sie einen hektischen Lebensstil, überplanen Dinge und setzen sich unrealistische Ziele. Sie rennen im Hamsterrad und kümmern sich um unzählige Details, die der Perfektionismus fordert. Die Angst faul zu sein, lenkt sie von jeglichen Aktivitäten der Entspannung ab.
1.15 Angst vor Entdeckung. Da Zwangsdenken erschöpfend ist und zu schwerwiegenden Fehlern führen kann, leidet die Effizienz und es passieren Fehler bei der Arbeit. Workaholics sorgen sich, dass ihre Fehler entdeckt werden. Geheimhaltung und Privatsphäre werden zu ihrem Hauptanliegen. Sie wollen im Übrigen nicht nur andere täuschen, sie machen sich auch Illusionen über die Einzigartigkeit ihrer selbst.
1.16 Angst vor Selbstfindung. Eine Bedrohung für das Selbstbild von Workaholics ist das Auftauchen von bisher unterdrückten Selbstzweifeln und sogar Selbstverachtung. Sie wissen zunehmend nicht, wer sie wirklich sind oder wie sie sich verhalten sollen. Wenn die Angst steigt, projizieren sie unerwünschte Schwächen auf einen Ehepartner oder Kollegen, der schließlich nichts richtig macht.
1.17 Angst vor Verfolgung (Paranoia). Der zunehmende Selbstzweifel und die extreme Abwehrbereitschaft, die durch die Angst vor Entdeckung und die Selbstfindung hervorgerufen werden, können später auch zur Paranoia führen. Es ist die Angst, verfolgt zu werden und Opfer zu sein. Einige spielen ihre Angst aus, indem sie sich rachsüchtig verhalten, andere Menschen einschüchtern und bestrafen, die sie in Frage stellen. Andere Workaholics ziehen sich in eine Schutzhülle zurück und beginnen, unter schweren Depressionen zu leiden. Letztendlich vertrauen Workaholics niemandem und gelten selbst nicht mehr als vertrauenswürdig.
2. Erfolg und Anerkennung
Eine Hauptmotivation von Workaholics kann darin bestehen, Erfolg und Anerkennung zu bekommen. Sie genießen den Adrenalinstoß, wenn ein Ziel erreicht wurde und wenn man ihnen sagt, dass sie alles gut gemacht haben. Ähnlich wie ein Spielsüchtiger, der sein letztes Geld ausgibt, um zu gewinnen, wird ein Workaholic stundenlang damit verbringen, sicherzustellen, dass er die Arbeit fertig stellt und von anderen anerkannt wird. Alles, was dem Erfolg und der angestrebten Anerkennung im Wege steht, wird aus dem Weg geräumt bzw. vermieden. Folglich wird jedes Projekt kontrolliert, Essen und Schlafen werden der Arbeit wegen sogar ignoriert und familiäre Aktivitäten werden vermieden.
3. Kindheitstrauma und Anerkennung als Liebesersatz
Gemäß Killinger (2011) wurden Workaholics bereits in ihrer Kindheit aufgrund von situativen Umständen wie zum Beispiel der Krankheit eines Elternteils, einem Tod in der Familie oder der Trennung der Eltern zu schnell in die Verantwortung von Erwachsenen gezwungen.
Andere Workaholics kommen aus Familien, in denen es ein leistungsorientiertes Wertesystem gibt, in dem Liebe an Bedingungen geknüpft ist. Das Kind erfährt Liebe, wenn es die Erwartungen übertrifft und die Familie stolz macht. Solche Menschen sind oft das „gute Kind“, das in der Schule sehr gut abschneidet, sich im Sport auszeichnet und kaum Ärger macht.
Es entwickeln sich potenziell drei Persönlichkeitstypen als Konsequenz daraus: “Nice Guys”, die nie nein sagen können und unbedingt bewundert werden möchte. Sie tun fast alles, um von anderen Anerkennung zu erhalten. “Kontrollfreaks”, die sich danach sehnen, die Kontrolle zu behalten. Diese Personen sind oft arrogant, können aber auch äußerst charmant und kontaktfreudig erscheinen. Sie sind in der Regel Denker, die Führungspositionen innehaben oder selbstständig sind. “Narzistische Kontrollfreaks”, die stets Recht haben müssen und nur ihren eigenen Standpunkt sehen. Sie folgen unermüdlich und rücksichtlsos ihrer eigenen Agenda. Dadurch gefährden sie das Wohl anderer.
Quellen:
1. Workaholism: It’s not just long hours on the job; Malissa A. Clark; 2016 https://www.apa.org/science/about/psa/2016/04/workaholism
2. The Relationships between Workaholism and Symptoms of Psychiatric Disorders: A Large-Scale Cross-Sectional Study; Andreassen, Griffiths, Sinha, Hetland, Pallesen; 2016 https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0152978
3. Understanding the Dynamics of Workaholism; Barbara Killinger; 2011 https://www.psychologytoday.com/us/blog/the-workaholics/201112/understanding-the-dynamics-workaholism
4. The Workaholic Breakdown Syndrome - Six Fears; Barbara Killinger; 2012 https://www.psychologytoday.com/us/blog/the-workaholics/201204/the-workaholic-breakdown-syndrome-six-fears
5. Work Addiction Causes | When Should Workaholics Seek Help? http://addictionexperts.com/types-of-addiction/work-addiction/